Strategien zur Pandemiebekämpfung fordern viel Erklärung.
Angesichts der Diskussion über die Impfpflicht daher hier eine etwas längere Einordnung
(nicht zu den medizinischen Aspekten, da vertraue ich den ExpertInnen), sondern zu den gesellschaftlichen!):
Die Corona-Impfung einer Person hat so genannte positive externe Effekte. Durchgeführte Impfungen schützen nicht nur einen selbst, sondern machen etwa Lockdowns und eine Überlastung des Gesundheitssystems unwahrscheinlicher.
D.h., die Impfung hat nicht nur individuelle Nutzen und Kosten (= privates Gut), sondern auch einen gesellschaftlichen Nutzen (= öffentliches Gut). Es gibt ein „soziales Dilemma“, weil individuelle und gesellschaftliche Sicht ggf. unterschiedlich sind.
Zu sozialen Dilemmata gibt es zehntausende wissenschaftliche Studien. Die Pandemiebekämpfung durch Impfung hat aber Eigenheiten: Der gesellschaftliche Nutzen steigt nicht linear mit der Zahl der Geimpften. Für solche Fälle wird die empirische Evidenz ziemlich dünn.
In anderen Worten: Der gesellschaftliche Nutzen tritt erst dann (vollständig) ein, wenn eine gewisse Schwelle bei der Impfquote überschritten wird. Der technische Begriff in der WiWi dafür ist „threshold public good“.
Die Grenze ist allerdings nicht genau bekannt, und natürlich sind Impfungen knapp unter der Schwelle und knapp über der Schwelle auch gesellschaftlich nützlich. Weit weg von der Schwelle haben Impfungen aber vor allem individuelle Nutzen/Kosten.
Vor der Delta-Variante sind viele ExpertInnen davon ausgegangen, dass diese Schwelle bei der Impfquote im Bereich 60-70% liegen würde. Diese haben wir in etwa erreicht, und eine Impfpflicht wäre gar nicht diskutiert worden.
Leider verschiebt die Delta-Variante die Schwelle ExpertInnen zufolge signifikant nach oben. Auch mit der besten Impfkampagne und mit starken positiven Anreizen kann diese Schwelle in vielen Ländern nicht erreicht werden.
Kurzer Exkurs zu Anreizen: Wir wissen, dass positive Anreize kurzfristig die Impfbereitschaft erhöhen. Es gibt schon mehrere Studien für die Corona-Impfung (in anderen Ländern). Noch fehlt die empirische Evidenz mWn bzgl. Sanktionen (Strafen), wenn man sich nicht impft.
Allerdings gibt es natürlich für viele andere soziale Dilemmata wiss. Ergebnisse, die die Effektivität von Strafen nachweist. Oft zeigt sich, dass eine kluge Kombination von positiven und negativen Anreizen am besten ist und auch als fair empfunden wird.
Wer sich dafür interessiert, dem sei etwa die Forschung von Elinor Ostrom (erste „Nobelpreisträgerin“ der Ökonomik) anempfohlen. Ihr Anwendungsfall waren Umweltprobleme. Einige ihrer Erkenntnisse sind auch auf die Bekämpfung des Klimawandels anzuwenden.
Aber – Vorsicht! Und damit zurück zu Corona. Wir haben zumindest (!) zwei Erschwernisse, wenn es um optimale Anreizgestaltung gibt:
1) die Schwellencharakteristik (Nicht-Linearität);
2) (pos./neg.) Langzeiteffekte von Anreizen.
Schwellencharakteristik: Führt im theoretischen Optimum wahrscheinlich zu komplexen Anreizstrukturen, die schwer verständlich sind und ggf. als unfair empfunden werden.
Langzeiteffekte: Positive Anreize heute erhöhen zwar die Impfbereitschaft heute, führen aber vielleicht zu geringerer Impfbereitschaft bei zukünftigen Corona-Impfungen oder anderen Impfungen, wenn es dann keine zusätzlichen positiven Anreize gibt.
Diese möglichen Langzeiteffekte („crowding out“ intrinsischer Motivation im Zeitablauf) werden von jenen potentiell unterschätzt, die sich ausschließlich oder vor allem für positive Anreize aussprechen.
Pragmatisches Fazit: Eine gut gewählte Kombination aus einfach nachzuvollziehenden positiven Anreizen (wie sie Bundesländer verschiedentlich verwenden) und Formen der Impfpflicht scheint hilfreich, gegeben die existierende Evidenz.
Die Veränderung der strategischen Empfehlung von „keine Impfpflicht“ auf „Vorschlag: Impfpflicht“ liegt an den veränderten, durch d Natur vorgegebenen Umständen (Delta-V.). Es ist keine Überraschung, dass viele europ Ländern derzeit tw od generelle Impfpflichten diskutieren.
Generell gilt: Die Pandemieentwicklung erfordert strategische Anpassungen. Es ist nicht leicht, diese gut u nachvollziehbar zu erklären (der Thread hier ist ein Versuch aus einem spezifischen Blickwinkel). Eine informierte Diskussion darüber scheint gesellschaftlich wichtig.
Und wie wird sich die Omikron-Variante auf die Strategie auswirken?
Noch kann das niemand seriös beantworten. Es gibt sowohl optimistisch, als auch pessimistisch stimmende erste Evidenz aus der Virologie. Hoffen wir, dass sich erstere durchsetzt.
Quelle: Twitter / Stand: 12-12-2021
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