Eine versteckte Kamera führt auch mal zu weniger Überwachung: Der Skandal um FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache brachte die Regierungskoalition in Österreich zu Fall. Kanzler Sebastian Kurz kann seinen Vorschlag für einen Ausweiszwang im Netz bis zur Neuwahl im September wohl nicht durchsetzen.
Kommentare im Internet nur noch unter Klarnamen: Das wünschen sich konservative Politiker in Deutschland, etwa Europawahl-Spitzenkandidat Manfred Weber von der CSU und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, lange CDU-Innenminister. Schäuble verwies dem „Spiegel“ gegenüber auf Österreichs Pläne gegen Anonymität im Netz, die in konservativen Kreisen wohl als Vorbild gelten. Doch der österreichische Gesetzesvorschlag ist wegen der Regierungskrise in Wien vorerst blockiert – und könnte ganz in der Versenkung verschwinden.
Die Regierung in Wien schlug Ausweispflicht im Netz erst vor wenigen Wochen vor. Der Entwurf für das Bundesgesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz schreibt vor, dass sich Nutzer künftig mit Namen und Adresse bei Diensten wie Facebook oder Foren von Nachrichtenwebseiten anmelden müssen. Die Betreiber müssen, etwa durch Ausweiskontrollen, sicherstellen, dass es sich um den echten Namen eines Nutzers handelt – und die Daten bei Bedarf an die Strafverfolgungsbehörden weitergeben. Die Ausweispflicht sollte eigentlich bereits 2020 eingeführt werden.
Doch die Regierung geriet mit der Ibiza-Affäre und dem Rücktritt von FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache am Wochenende in gehörigen Turbulenzen. Kanzler Sebastian Kurz muss sich am Montag einem Misstrauensantrag im österreichischen Parlament stellen. In jedem Fall gibt es im September Neuwahlen.
Die Regierung Kurz hält trotz erheblicher Kritik an ihren Vorschlägen für den Ausweiszwang fest. Das bekräftigen Regierungskreise gegenüber dem Standard. (Auf eine Bitte um eine offizielle Stellungsnahme von netzpolitik.org reagierte das Kanzleramt in Wien nicht.)
Auch wenn Kurz im Amt bleibt, wird die Zeit für das Gesetz knapp. Denn Österreich muss das Gesetzesvorhaben in Brüssel notifizieren, da es übergeordnete europäische Richtlinien berührt. Kritiker ziehen in Zweifel, ob die Überwachungspflichten für Forenbetreiber in Österreich nicht gegen die e-Commerce-Richtlinie der EU verstoßen. Das Bundeskanzleramt in Wien beruft sich in seiner Folgeabschätzung auf Ausnahmen in der Richtlinie.
Ob die Argumentation hält oder nicht: Allein der Prüfzeitraum macht eine Verabschiedung vor der vorgezogenen Parlamentswahl im September unmöglich. Denn die österreichischen Gesetzgeber müssen zunächst eine dreimonatige Stillhaltefrist abwarten.
Wer die Neuwahl im September gewinnt, ist nicht abzusehen. Eine Neuauflage der Koalition aus ÖVP und FPÖ scheint aber vorerst unwahrscheinlich. Die Oppositionsparteien im Parlament, die Sozialdemokraten und die liberale Partei NEOS, haben sich klar gegen das Gesetz positioniert. Selbst wenn die ÖVP nach der Wahl die Ausweispflicht durchsetzen will, fehlt ihr dafür im Parlament vermutlich ein williger Koalitionspartner und Mehrheitsbeschaffer.
Gegenüber dem Parlament machten Vertreter der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zuletzt ihre Ablehnung des Gesetzes deutlich. In einer Stellungnahme an das Parlament warnte die Digital-NGO epicenter.works, die Pflicht zur Speicherung von Klarnamen stelle nicht nur eine Drangsalierung von Medien- und Forenbetreibenden dar, sondern auch eine Schmälerung des öffentlichen Diskurses.
Die Rundfunkbehörde KommAustria weist auf schwammige Formulierungen im Gesetz hin. Das Gesetz gilt nur für Dienste, die „auf Nutzer in Österreich ausgerichtet“ sind. Es sei völlig unklar, wer damit gemeint sei und ob das etwa für Facebook gelte. Sicher treffen wird das Gesetz wohl vor allem die österreichischen Zeitungen und ihre Online-Foren, wo Nutzerinnen und Nutzer die Arbeit der Regierung Kurz täglich ins Visier nehmen.
Datenschützer hoffen nun, dass die nächste Regierung dieses und andere geplante Überwachungsgesetze fallen lässt. Thomas Lohninger von epicenter.works schrieb auf unsere
Die aktuelle Regierungskrise bringt die Chance die fehlgeleitete Überwachungspolitik der schwarz-blauen Regierung zurückzunehmen. In den letzten 1,5 Jahren haben wir den größten Ausbau an Überwachungsgesetzgebung der 2. Republik erlebt. Datenschutz wurde systematisch bei Asylwerbern, Arbeitssuchenden und Sozialhilfeempfängern abgebaut, bis dahin, dass Anträge auf Sozialhilfe die Staatsbürgerschaft der Eltern beinhalten müssen. Netzsperren, Uploadfilter und Leistungsschutzrecht fanden sich im Regierungsprogramm, die Bevölkerung jedoch kam maximal als Datenlieferant darin vor. Als netzpolitische Bürgerrechtsorganisation hoffen wir, dass der “neue Stil” von Gier und Menschenhass der Bundesregierung Kurz ein Ende findet.
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