Doppelt Benachteiligt: die Situation von MigrantInnen in Österreichs Schulen

    Mag. Mevlüt Kücükyasar
    Von Mag. Mevlüt Kücükyasar

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    Doppelt Benachteiligt: die Situation von MigrantInnen in Österreichs Schulen

    Dass das österreichische Bildungssystem in höchstem Masse selektiv ist, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Bildung ist hierzulande ein Erbgut und wird von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Der Weg der Kinder ist durch das Bildungsniveau der Eltern vorgezeichnet. Obwohl in Österreich insgesamt ein Anstieg des Bildungsniveaus zu beobachten ist, ändert diese Tatsache nichts daran, dass der sozioökonomische Hintergrund der Familie der wichtigste Faktor zur Erklärung von Bildungsunterschieden ist. Neben dem sozioökonomischen Hintergrund der Familie lässt sich etwas mehr als die Hälfe der Leistungsunterschiede der Kinder im Schulsystem mit dem Migrationshintergrund der Eltern erklären.

    bildung-eltern

    Die Statistik Austria stellte fest, dass 53 Prozent der 25- bis 44-Jährigen aus einem akademischen Elternhaus einen Hochschulabschluss erreichen, wohingegen dies bei Personen, deren Eltern höchstens einen Pflichtschulabschluss haben, nur bei 5 Prozent der Fall ist. Die Grafik zeigt eindeutig: Je höher das Bildungsniveau der Eltern, desto höher die Chancen der Kinder auf einen höheren Bildungsabschluss. Höhere Bildung ist in Österreich nach wie vor ein Elitenprivileg.

    Die Situation von mehrsprachigen SchülerInnen in Österreichs Schulen

    Mehrsprachigkeit ist mittlerweile auch in Österreich, wie in anderen europäischen Einwanderungsländern, eine häufige Erscheinung. In größeren Städten bilden mehrsprachige SchülerInnen oder SchülerInnen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch  die  Mehrheit in den Pflichtschulen. Laut einer statistischen Auswertung des BMUKK liegt im Schuljahr 2011/12 der Anteil der SchülerInnen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch österreichweit bei 24,8 Prozent (Wien 53,9 Prozent)  in den Volksschulen und 21,7 Prozent (Wien 66,0 Prozent) in den Hauptschulen. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Zahl der mehrsprachigen SchülerInnen fast verdoppelt und ist von 111.000 im Schuljahr 1995/96 auf 215.000 im Schuljahr 2011/12  angestiegen. Wie schaut nun die Situation von SchülerInnen im österreichischen Schulsytem aus und welche Problemlagen liegen vor?

    Problemlagen und Herausforderungen

    Kindergarten

    Eine vom BIFIE durchgeführte umfangreiche Studie zur Sprachstandsbeobachtung bei 4½- bis 5½-jährigen Kindern zeigte, dass 90 Prozent der deutschsprachigen Kinder, die einen Kindergarten besuchten, ein altersgemäßes Sprachniveau haben, während 10 Prozent  zusätzliche Fördermaßnahmen brauchten. Im Vergleich dazu benötigten rund 58 Prozent jener Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch war, zusätzliche Fördermaßnahmen, um ein altersadäquates Sprachniveau zu erreichen.

    Pflichtschule

    Vor allem Internationale Leistungstest wie PISA, PIRLS und TIMSS haben gezeigt, dass mehrsprachige SchülerInnen eine Herausforderung für das auf Einsprachigkeit aufgebaute Schulsystem in Österreich darstellen. Die aktuellen PIRLS und TIMMS Ergebnisse von 2011 zeigen beträchtliche Leistungsunterschiede zwischen SchülerInnen der 4. Schulstufe mit und ohne Migrationshintergrund. SchülerInnen mit Migrationshintergrund schneiden bei der Lesekompetenz (PIRLS 2011) und Mathematikkompetenz (TIMSS 2011) schlechter ab, wobei der Leistungsunterschied einem Rückstand von nahezu einem Schuljahr entspricht. Bei den mittleren Lese- und Mathematikleistungen der 15-jährigen SchülerInnen (PISA 2009) ist ein ähnliches Bild zu beobachten.

    Bildungswegentscheidung im Schulsystem

    Im österreichischen Schulsystem beginnt mit der Sekundarstufe I die erste große Differenzierung, die das gesamte Bildungs- und Berufsleben der SchülerInnen nachhaltig prägt. Diese Bildungswegentscheidung bildet das Fundament für eine Lebenslange Benachteiligung für SchülerInnen mit Migrationshintergrund. SchülerInnen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch sind in der Hauptschule (21,7 Prozent) deutlich überrepräsentiert und in der AHS-Unterstufe (16,2 Prozent) unterrepräsentiert. In Wien ist der Unterschied mit 66 Prozent MigrantInnenanteil in der Hauptschule sowie 32,9 Prozent in der  AHS-Unterstufe noch drastischer.

    Die größten Unterschiede der Berufs- und Bildungsentscheidung von mehrsprachigen- und einsprachig deutschsprachigen SchülerInnen sind in der Sekundarstufe II zu beobachten. SchülerInnen mit Migrationshintergrund sind deutlich seltener in einer allgemein- oder berufsbildenden höhere Schule zu finden. Auch in der österreichischen Lehrlingsausbildung sind sie deutlich unterrepräsentiert. So lag im Schuljahr 2011/12 der Anteil von SchülerInnen mit nicht-deutscher Umgangssprache an Berufsschulen nur bei 10,6 Prozent. Oft müssen diese auf eine überbetriebliche Ausbildung ausweichen, weil sie kein Betrieb aufnimmt.

    Als Folge der strukturellen Diskriminierung im Schulsystem, die sich unter anderem durch den monolingualen Habitus der Schule, fehlende Chancengerechtigkeit, mangelnde Sprachförderung und frühe Selektion ausdrückt, sind MigrantInnen öfter von Klassenwiederholungen betroffen und das Early-School-Leaving-Risiko (ESL) von MigrantInnen ist siebenmal höher gegenüber Personen ohne Migrationshintergrund. Bei den NEETS (Not in Education, Employment or Training) ist ein ähnliches Muster wie bei ESL zu beobachten. Auch hier sind Junge MigrantInnen mit 18,8 Prozent besonders stark betroffen. In der zweiten Generation verbessert sich die Zahl zwar auf 11,7 Prozent, liegt aber trotzdem noch über den Durchschnitt für alle Gruppen österreichweit 8,2 Prozent (75.000 Jugendliche).

    Diese Leistungsunterschiede können nicht durch einen einzigen Faktor, wie z.B. Bildungsabschluss der Eltern erklärt werden. Die Benachteiligung der SchülerInnen mit Migrationshintergrund ist als Ergebnis des Zusammenspiels mehrerer Faktoren, wie Mehrsprachigkeit, Migrationshintergrund, Einkommen-, Ausblidung und Herkunftsland der Eltern zu sehen. Im OECD-Durchschnitt haben Eltern mit Migrationshintergrund einen niedrigeren Bildungsabschluss als Nicht-MigratintInnen und üben häufiger Berufe mit niedrigerem Status aus. Darüber hinaus belegen Studien, dass SchülerInnen mit Migrationshintergrund tendenziell einen geringen Zugang zu Bildungsressourcen und materiellen Recourcen haben als ihre einheimischen Mitschüler. Wenn da noch die fehlenden sprachlichen Ressourcen dazu kommen, schauen die Auswirkungen so aus, wie weiter oben geschildert.

    sozioökonomie-migrationshintergrund

    Diese Grafik verdeutlicht die Tatsache, dass die Bildungsunterschiede zwischen SchülerInnen nicht nur auf den sozioökonomischen Hintergrund der Familie zurückzuführen sind. Während sich in Australien und in den USA die Leistungsdifferenz zu Gänze durch den sozioökonomischen Hintergrund der Familie erklären lässt, gibt es Länder wie Schweden, Spanien und Neuseeland, wo mehr als die Hälfte der Leistungsdifferenz auf den Migrationshintergrund zurückzuführen ist. In Österreich verbleibt mehr als die Hälfte der Leistungsdifferenz nach Berücksichtigung des sozioökomischen Hintergrunds der Familie.

    Als Conclusio lässt sich feststellen, dass die Bildungspolitik die Situation von SchülerInnen mit Migrationshintergrund bisher nur fragmentarisch erkannt hat. Angesichts der oben aufgezählten Tatsachen erntet dieses Vorgehen wenig Verständnis bei den Betroffenen. Es ist nicht die Absicht dieses Artikels, SchülerInnen in zwei Gruppen teilen, vielmehr geht es hier darum, den Fokus auf SchülerInnen mit Migrationshintergrund zu richten, die eine doppelte Benachteiligung erdulden müssen. Wenn wir über Reformen im Bildungsbereich reden, sollten MigrantInnen nicht zu kurz kommen.

     


    Quelle: A&W Blog -  Mevlüt Kücükyasar / 31-07-2013